Ein besonderes Jahr — wir feiern 10 Jahre Engagement für die Bildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Ladakh, Himalaya
Vor zehn Jahren legte Lobzang Rinchen den Grundstein für das Erwachsenenbildungsprojekt in Ladakh. Zahlreiche Erwachsene konnten das Lesen und Schreiben lernen, wodurch sie neue Perspektiven für ihr Leben eröffneten. Gleichzeitig haben Kinder und Jugendliche durch gezielten Winterunterricht ihre schulischen Fähigkeiten ausgebaut. Mit Freude blicken wir auf die positive Entwicklung der letzten Jahre zurück und danken allen, die dazu beigetragen haben.
Sonam Dorje eröffnete den Abend mit einer herzlichen Begrüßung aller Anwesenden. Anschließend hielt Lobzang Rinchen eine unterhaltsame und spannende Rede, in der er die Zuhörer auf eine Reise durch einige bewegende Ereignisse der letzten 10 Jahre mitnahm. Im zweiten Teil seiner Ansprache widmete er sich den wichtigen Themen Bildung und Kulturerhaltung.
Ein festliches Abendessen rundete den Abend ab und bot uns die Gelegenheit für persönliche Gespräche. Besonders freuten wir uns, ehemalige Schüler:innen wiederzutreffen, die wir während unseres Besuchs der Internatsschule in Kalthse im Winter 2018 kennengelernt hatten. Sie sind zu selbstbewussten jungen Frauen und Männern herangewachsen.
Wir bedankten uns bei allen ganz herzlich für den tollen Abend, die vielen Geschenke und die herzliche Gastfreundschaft, die uns zuteilwurde. Es war ein unvergesslicher Moment, den wir in guter Erinnerung behalten werden.
Entstehungsgeschichte des Wohnheims in Choglamsar
Geshe Ngawang Jangchup ist der Gründer des Wohnheims in Choglamsar, das er seit über 30 Jahren leitet. Geboren in Lingshed und im dortigen Kloster aufgewachsen, verließ er 1968 als 14-Jähriger seine Heimat, um seine Studien an der tibetischen Klosteruniversität Drepung in Südindien fortzusetzen. 1990 legte er in Varanasi die Abschlussprüfung zum Geshe Lharampa ab, dem höchsten akademischen Grad in der Gelug-Tradition.
Als er 1991 nach 23 Jahren nach Ladakh zurückkehrte, stellte er fest, dass sich das Bildungsniveau in der Region kaum verbessert hatte. Er erkannte, dass der Schlüssel zum Durchbrechen des Armutskreislaufs in der Bildung liegt.
Sein Wunsch war, den Kindern aus der entlegenen Region Senge La eine moderne Bildung als Grundlage zu ermöglichen. Der beste Weg, dieses Ziel zu erreichen, war der Bau eines Wohnheims in der Nähe der Bildungszentren von Leh. Während des Sommerhalbjahres wohnen Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 24 Jahren dort und besuchen umliegende Schulen. In den schulfreien Wintermonaten fand für sie der Förderunterricht statt, den Sonam Dorje und Lobzang Rinchen durchführten.
Der Start des Erwachsenenbildungsprojekts im Lungnaktal, Zanskar, verlief erfolgreich, auch wenn weniger Frauen teilnahmen als ursprünglich geplant.
In der Region Zanskar wurde erstmals der Winterunterricht durchgeführt, an dem rund 60 Frauen teilnahmen. Bei meinem Besuch war ich beeindruckt, wie viele Teilnehmende bereits einfache Texte lesen konnten.
Auf dem Landweg von Dehli nach Ladakh
Der Bezirk Zanskar, der zum Unionsterritorium Ladakh gehört, war lange Zeit nur zu Fuß erreichbar. In den vergangenen Jahren wurde kontinuierlich daran gearbeitet, die abgeschiedene Region und ihre Bewohner mit der Außenwelt zu verbinden. Nach und nach wurden Abschnitte der Trekkingrouten zu Jeep-Pisten ausgebaut. Seit diesem Jahr ist die gesamte Route von Darcha bis Wanla offiziell befahrbar, und Padum, das Verwaltungszentrum von Zanskar, kann nun direkt von Darcha aus mit dem Auto erreicht werden.
In diesem Jahr begleitete mich mein Mann nach Ladakh, und wir reisten auf dem Landweg von der Millionenmetropole Delhi ins «Land der hohen Pässe». Die Reise führte uns vom heißen indischen Flachland, wo die Temperaturen im Mai vor dem Monsun kaum erträglich waren, hinauf in die wüstenhafte Hochgebirgsregion Ladakhs. Unterwegs durchquerten wir die Ausläufer des indischen Himalayas – von den grünen, üppigen Wäldern mit neugierigen Affen bis hinauf zum schneebedeckten Shinkula-Pass auf 5.053 Metern Höhe, der direkt ins Lungnaktal nach Padum führt.
Der Projektleiter Nawang Palden erwartete uns mit seinem Auto kurz nach Darcha und wir freuten uns beide auf ein Wiedersehen. Die fünfstündige Autofahrt liess uns viel Zeit, um Neuigkeiten auszutauschen. Am Abend erreichten wir Anmu, eines der fünf Dörfer, welches seit letztem Jahr am Erwachsenenprojekt teilnimmt. Wir übernachteten im Haus des Lehrers Sampel.
Besuch der Dörfer Anmu, Raru, Mune, Pipcha und Sheela: Eindrücke und Fortschritte
Im Dorf Anmu nahmen sechs Erwachsene am Winterunterricht teil. Dank der kleinen Klassengröße konnten sie besonders intensiv vom Lernangebot profitieren. Der Lehrer Stanzin Sampel, ein staatlich angestellter Lehrer, unterrichtet im Sommer die Dorfkinder. Für ihn ist es eine bereichernde Abwechslung, während der schulfreien Wintermonate für das Projekt EAL tätig zu sein. Die Teilnehmenden erlernten das Lesen in der ladakhischen Sprache Bothi und in Englisch, das Schreiben ihrer Namen sowie grundlegende mathematische Fähigkeiten.
Jampel Sherap war der einzige Mann, der im Lungnaktal am Winterunterricht teilnahm. Besonders interessierte mich seine Motivation, denn Sherap stammt aus einem abgelegenen Bergdorf, das bisher noch nicht ans Strassennetz angebunden ist. In einem persönlichen Gespräch berichtete er mir von seinen Beweggründen.
Sherap ist 38 Jahre alt und in Shade aufgewachsen. In seinem Dorf leben rund 12 Familien. Es liegt auf fast 4’000 Metern Höhe und ist nur über einen drei stündigen Fussmarsch von der nächsten Strasse aus erreichbar. Sherap hatte nie die Gelegenheit eine Schule zu besuchen. Im vergangenen Winter arbeitete er am Strassenbau im Lungnaktal und wohnte bei Verwandten in Anmu. Als er vom Projekt erfuhr, meldete er sich sofort für den Winterunterricht an. Damit erfüllte sich für Sherap ein lang gehegter Wunsch.
Die Lehrpersonen aus dem Dorf Raru berichteten, wie herausfordernd es anfangs war, die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden zu gewinnen. Es stellte sich die Frage, wie das Zuhören als Fähigkeit erlernt und in den Mittelpunkt des Unterrichts gestellt werden kann.
Wir trafen am Nachmittag in Mune ein. Eifrig lasen die Frauen Texte vor und zeigten uns, was sie im vergangenen Winter in ihren Schulheften notiert hatten. Die Nachricht des Treffens erreichte leider die Hälfte der Frauen auf den weitentfernten Feldern nicht rechtzeitig, sodass sie an der Zusammenkunft fehlten.
Die Lehrer berichteten, dass nach anfänglichen Schwierigkeiten die Teilnehmenden nun Fortschritte verzeichnen können und sich immer mehr sicher im Lesen, Schreiben und Rechnen fühlen. Es war bemerkenswert zu sehen, wie viel sie in kurzer Zeit gelernt haben.
Anschließend bereitete die Dorfgemeinschaft ein gemeinsames Abendessen für alle vor. Bei solchen Anlässen teilen sich die Männer und Frauen die Aufgaben: Die Männer kümmern sich draußen um die Feuerstelle und kochen Tee im großen Kochtopf, während die Frauen für die Zubereitung des Essens verantwortlich sind. Das selbstgebraute Bier (Chang) darf bei keinem Anlass fehlen.
In Sheela fand im vergangenen Winter kein Unterricht statt, da zu Beginn des geplanten Schulangebotes vier Personen verstorben sind. Der Lehrer war daher für mehr als einen Monat mit den Beerdigungszeremonien beschäftigt.
Ichar, ein weiteres Dorf im Lugnaktal ist am Winterunterricht interessiert
Ichar umfasst circa 50 Haushalte, in denen rund 150 Menschen leben. Die meisten sind Selbstversorger. Das Dorf liegt 50 km von Padum entfernt und gehört zu den größeren Dörfern im Lungnaktal. Durch Mundpropaganda erfuhr die Dorfgemeinschaft von dem Winterunterricht in den benachbarten Dörfern. Auf dem Weg von Anmu nach Padum besuchten wir Ichar, wo etwa 30 interessierte Frauen und Männer an der Versammlung teilnahmen. Nawang stellte das Erwachsenenbildungsprojekt von EAL sowie die Philosophie und Ziele vor. Die Frauen zeigten großes Interesse. Der Verein EAL hat sich entschieden, Ichar im kommenden Winter in das Erwachsenenprojekt aufzunehmen. Die Lehrkräfte werden von der Dorfbevölkerung organisiert.
Winterunterricht 2023/2024 für Kinder und Jugendliche in der Region Senge La
In den Dörfern der Region Segne La fand der Winterunterricht mit rund 150 Schülerinnen und Schüler statt.
Es freut uns sehr, dass wir Dank den Spendengeldern sechs Lehrpersonen vom Verein Education for Adults in Ladakh zur Verfügung stellen konnten. Die Kinder erhielten schulische Unterstützung in den Fächern Mathematik, Englisch, Hindi, Bothi und Naturwissenschaft. Zum Abschluss wurden Prüfungen abgehalten, die alle Schülerinnen und Schüler erfolgreich bestanden.
Lingshed
Stanzin Dolma lebt allein in ihrem Haus. Ihr Mann kam vor vielen Jahren bei einem Lawinenunglück ums Leben, und ihre fünf erwachsenen Kinder sind inzwischen ausgezogen. Ihr Tag beginnt um 05:00 Uhr. Bevor sie sich um die Schafe kümmert und auf dem Feld arbeitet, liest sie täglich 30 Minuten philosophische Texte aus ihrem Gebetsbuch.
Sie sagt, dass ihr das morgendliche Leseritual Kraft gibt. Manchmal bleibt sie jedoch beim Lesen stehen und versteht die Bedeutung des Textes nicht. Das Angebot, Einzelunterricht zu erhalten, nahm sie dankbar an. Gemeinsam mit der Nonne Tashi habe ich vereinbart, ihr sporadisch maximal 50 Stunden Einzelunterricht zu erteilen.
Skiumpata
Hockey – wird zunehmend zu einem populären Wintersport in den Bergdörfern Senge La
Ausblick
Der Winterunterricht für Erwachsene im Lungnaktal wird auch in diesem Jahr im gleichen Rahmen wie im letzten Winter fortgesetzt. Nawang Palden wird die Dörfer während des Winters besuchen und die Lehrkräfte betreuen. Der Verein EAL finanziert für den Winterunterricht 2024/2025 die Gehälter von 11 Lehrkräften.
Für den Winterunterricht 2024/2025 in der Region Senge La organisiert der Projektleiter Sonam Dorje zusätzliches Lernangebot in den Dörfern. Der Verein EAL stellt finanzielle Unterstützung für fünf Lehrpersonen zur Verfügung.
Die Kinder haben große Freude am Hockeyspielen. Sofern es die Bedingungen zulassen, wird auch im kommenden Winter wieder ein Hockey-Camp stattfinden. Tsultim, der Präsident von SINGELA PARTNERS, organisiert das Camp in Zusammenarbeit mit Lobzang Rinchen.
In Skiumpata wird der Winterunterricht weiterhin angeboten, während er in den anderen Dörfern der Region Senge La nur sporadisch stattfindet.